Rolle rückwärts: Ist das Kürzertreten der endgültige Abschied vom Aufstieg?

Teamleiterin, Abteilungsleiterin, Management: Oft gibt es im Job nur eine Richtung – nach oben. Aber kann man im Job auch wieder einen Gang zurückschalten? Was Sie beim sogenannten Downshifting bedenken sollten.

Die Führungsposition abgeben und wieder entspannter eine Ebene tiefer arbeiten: Ein solcher Schritt stößt nicht überall auf Verständnis. Zudem gehen mit einer solchen Entscheidung meist Einkommenseinbußen einher – und für Beförderungen kommt man später seltener infrage. Downshifting muss also gut überlegt sein. Bild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Von Elena Zelle, dpa

Paderborn/Kerpen. Höher, schneller, weiter? Muss nicht unbedingt sein. Nicht für alle ist der stetige Aufstieg im Job erstrebenswert. Manche treten deshalb beruflich kürzer und nehmen auch Gehaltseinbußen in Kauf – freiwillig. Downshifting, Herunterschalten, nennt man das. Ein klassisches Beispiel ist wohl der Manager, der seinen Job an den Nagel hängt und Yoga-Lehrer wird. So radikal muss Downshifting gar nicht sein: Es kann auch den Verzicht auf eine Führungsposition oder den Wechsel von Voll- in Teilzeit bedeuten. Ob radikal oder nicht, eine solche Entscheidung finden die meisten wohl erst einmal ungewöhnlich. Denn Ausbildung, Qualifikationen, Zertifikate – all das, was man in seinem Job durch Zeit und Mühe erreicht hat, verliert mitunter völlig an Wert, wie Julia Gruhlich von der Universität Paderborn erklärt.

Wie sind die Arbeitsbedingungen?

Warum machen Menschen so etwas? Diese Frage hat Arbeitssoziologin Gruhlich auch gestellt und für eine qualitative Tiefenstudie 23 offene Interviews mit Menschen geführt, die beruflich auf verschiedene Weisen kürzer getreten sind. „Als Arbeitssoziologin hat mich natürlich vor allem interessiert: Hat das mit den Arbeitsbedingungen zu tun und wenn ja, was?“ In den Antworten auf die offenen Fragen seien alle Befragten von sich aus auf die Arbeitsbedingungen zu sprechen gekommen. „Der Wandel der Arbeit ist der Hauptauslöser“, hat Gruhlich herausgefunden. „Problematisch sind die Verdichtung der Arbeit, also das hohe Pensum, die Entgrenzung und Flexibilisierung sowie auch die zunehmende Ökonomisierung und Entfremdung von Arbeit.“ Sie hat drei Hauptgründe ausgemacht, warum Menschen dann wirklich einen oder mehrere Gänge herunterschalten:

■ Vereinbarkeit:

Beschäftigte gehen in Teilzeit oder hängen ihren Beruf ganz an den Nagel, um mehr Zeit für die Familie zu haben.

■ Selbstsorge:

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer treten durch stressbedingte Krankheiten oder Burnout kürzer und belassen es auch nach ihrer Genesung dabei.

■ Sinnsuche:

Manche suchen noch nach dem passenden Beruf und manche können ihre Arbeit nicht mehr so machen, wie sie es richtig finden würden, etwa weil ökonomische Aspekte für Arbeitgeber wichtiger sind. Das gilt laut Gruhlich unter anderem in Pflege- und Gesundheitsberufen. Mehr Zeit für Familie und Freizeit, weniger Stress, eigenen Interessen und Projekten nachgehen – das erhoffen sich wohl viele von den beruflichen Rückschritten. Aber: Mit welchen Widrigkeiten muss man rechnen, wenn man die rosarote Brille absetzt? „Massiv ist vor allem der Einkommensverlust“, meint Karriereexperte und Autor Jochen Mai. Wenn man keine Rücklagen gebildet hat, kann der Lebensstandard sinken. Auch die Karriereoptionen nehmen ab. „Wer einen Gang zurückschaltet, kommt häufig nicht mehr für Beförderungen infrage“, gibt Mai, der auch Gründer der Plattform Karrierebibel ist, zu bedenken. Grundsätzlich sollte man einen solchen Schritt gut abstimmen. „Der Chef muss einverstanden sein“, sagt Mai. „Der bisherige Arbeitsvertrag gilt ja noch. Im Grunde verhandelt man einen Änderungsvertrag, und dem müssen beide zustimmen.“

Keine verbrannte Erde hinterlassen

Denn Downshifting kann auch Arbeitgeber in die Bredouille bringen: Woher soll denn nun die Führungskraft kommen? Oder wer übernimmt die Aufgaben, die der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin in Teilzeit nun nicht mehr schafft? Etwas anders verhält es sich bei einer Kündigung: „Das ist eine einseitige Entscheidung und es bedarf nicht der Zustimmung des Chefs“, so Mai. Nichtsdestotrotz sollte man in einem solchen Fall keine verbrannte Erde hinterlassen. Auch privat sollte der freiwillige Rückschritt besprochen werden. „Gerade mit dem Partner sollte man sich einig sein“, sagt Mai.„Dass nicht alle überzeugt sind, ist okay. Aber das Minimum ist der eigene Partner. Sonst wird es doppelt schwer.“ Arbeitssoziologin Gruhlich hat mit ihren 23 Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach dem Downshifting erneut gesprochen. „Alle waren erleichtert“, fasst sie zusammen. „Sie haben wieder das Gefühl von Handlungsmacht bekommen.“ Das gelte auch für die, die ursprünglich durch eine Krankheit ausgebremst wurden. Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich: Manche erfuhren Bewunderung aus ihrem Umfeld. Manchmal waren die Reaktionen weniger positiv, weiß Gruhlich: „Meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner stießen auf Unverständnis und teilweise sogar Verachtung.“ Sie wurden als faul angesehen und täten zu wenig für die eigene Rente, wie Gruhlich erklärt. Ob Downshifting nun durch die Pandemie eher häufiger oder eher seltener wird, darüber herrscht Uneinigkeit. Mai sagt: „Viele haben durch die Krise Angst um ihren Job, Rückschritte wagen daher wenige.“ Er meint aber auch, dass vor allem die jüngere Generation von vornherein nicht so ein ausgeprägtes Interesse an steilen Karrieren habe.

Corona verstärkt Probleme

Gruhlich hat ihre Interviews vor der Pandemie geführt, vermutet aber, dass die Probleme durch Corona noch verstärkt werden. So sei die Vereinbarkeit in Zeiten von Homeschooling noch problematischer, die Entgrenzung und damit verknüpfter Stress und Erschöpfung nehmen durch Homeoffice zu und die Arbeitsbelastung steige in den Pflege- und Gesundheitsberufen. Der Wunsch nach Downshifting könnte durch die Pandemie also verstärkt werden. Die Wissenschaftlerin betont: „Downshifting ist nicht alleine eine wertgetriebene Entscheidung. Sie geht oft mit einem Leidensdruck vor allem durch den Wandel der Arbeit einher. Und diese Menschen finden individuelle Lösungen für ein eigentlich strukturelles Problem.“

Mehr Zeit für die Familie zu haben, ist ein häufiges Motiv hinter „Downshifting“ im Job. Bild: Mascha Brichta/dpa


Bitte stimmen Sie der Einwilligung zu.