Fit in die Nacht

(dpa/tmn) Ein Frühaufsteher war Stefan Scherf nie. Dennoch arbeitet er an diesem Sonntagmorgen schon um 6.00 Uhr in einer Tierfutter-Abfüllanlage in SachsenAnhalt. In der Fabrik hat der 26-jährige Produktionstechniker aus Weißenfels seine Ausbildung gemacht. Seinen Meister hat er noch vor sich. „In der Ausbildung hast du dir über die Schichtarbeit noch keinen Kopf gemacht“, erklärt er. Stören tue ihn die Schichtarbeit aber auch nicht. „In meinem Beruf ist das alles Schichtbetrieb. Wie willst du es ändern? Du willst ja arbeiten gehen.“

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Die Partnerin schläft noch, man selber muss aber raus: Beziehungen und das Familienleben können unter Schichtarbeit leiden. Bild: dpa

Große Belastung

Er und seine Kollegen arbeiten im Vierschichtsystem. Das bedeutet: Die Produktion läuft 24 Stunden am Tag ununterbrochen, sieben Tage die Woche. Unter den 150 Mitarbeitern in Halle werden Früh-, Spät- und Nachtschichten aufgeteilt. Stunden, die Stefan mehr gearbeitet hat, sammelt er auf einem Arbeitszeitkonto.

Arbeiten, wenn der Partner schlafen geht und frei haben, wenn die Freunde im Büro sitzen: Das kann nicht nur eine große Belastung für Beziehungen und Freundschaften sein, sondern auch für Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Immerhin folgt der Körper einem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus: Das Tageslicht hat großen Einfluss auf Verdauung, Wohlbefinden und vieles mehr. Laut der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung arbeiten 15,8 Prozent der Erwerbstätigen in wechselnden Schichten. „Nicht jeder Mensch ist für Schichtarbeit geeignet. Eine gute körperliche und psychische Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung“, sagt Psychologie-Professor Hannes Zacher von der Universität Leipzig.

Richtig essen und schlafen

Jüngere und gesunde Menschen erleben generell weniger Beeinträchtigungen durch Schichtarbeit, so Zacher. Dazu kommen laut dem Psychologen andere Faktoren: Hat ein Mitarbeiter Erfahrung mit unregelmäßigen Arbeitszeiten und passt das Schichtsystem zu seiner inneren biologischen Uhr, könne das die negativen Folgen von Schichtarbeit mindern. Wichtig seien eine positive Einstellung zur Arbeit sowie ein gesundes Ess- und Schlafverhalten.

Richtig essen und schlafen – das Wissen darüber hat sich Stefan Scherf selbst angeeignet. Während seiner Ausbildung hat er sich darüber mit erfahrenen Kollegen ausgetauscht und sich im Internet informiert. „Du musst da schon ein bisschen aufpassen. Ich hatte am Anfang durch dieses unregelmäßige Essen zugenommen. Seitdem gehe ich wieder regelmäßig trainieren – zum Ausgleich“, sagt er.

Der menschliche Körper passt sich an die ständig wechselnden Arbeitszeiten nur begrenzt an. „Praktisch alle Körperfunktionen unterliegen einem tagesperiodischen Wechsel. Ein wichtiger Einflussfaktor ist hierbei das Licht“, erklärt Ricarda Holtorf von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Darum sei es wichtig, sich auch bei Schichtarbeit ausgewogen zu ernähren. Süße oder salzige Snacks sollten Schichtarbeiter eher vermeiden. Stattdessen empfiehlt Holtorf Joghurt mit frischem Obst, Vollkornbrot mit Frischkäse und Paprikastreifen. Mahlzeiten sollten lecker, leicht verdaulich und ausgewogen sein.

Auch die richtigen Getränke seien wichtig. „Greifen Sie hier zu warmen und kalten Getränken ohne Koffein, wie Trink- oder Mineralwasser, Früchte-, Kräuter- oder Rotbuschtee.“ Wer arbeitet, wenn andere schlafen, hat es auch mit Freunden und Familie nicht leicht. Stefan Scherf spürt das in seinem Freundeskreis. „Viele meiner besten Freunde arbeiten im Schichtdienst und auch meine Partnerin“, erzählt er. Manchmal sei das schwierig, wenn sich die Arbeitszeiten überschneiden. Insbesondere für Eltern ist die Schichtarbeit eine große Herausforderung. Sie haben rechtlich gesehen keinen Anspruch auf bestimmte Arbeitszeiten. Da müsse man gut organisiert und flexibel sein.

Körperliche Beschwerden

Gute Planung sei generell wichtig, erklärt Psychologe Hannes Zacher. „Nutzen Sie die Zeit mit ihrem Partner, Kindern und Freunden sinnvoll, anstatt nur fernzusehen. Erstellen Sie einen Zeitplan, und planen Sie gemeinsame Unternehmungen sowie Zeit für spontane Aktivitäten langfristig ein“, so der Psychologe. Eine aktive Teilnahme am sozialen Leben könne das Risiko für Beeinträchtigungen aufgrund von Schichtarbeit verringern.

Viele Schichtarbeiter leiden unter erheblichen Schlafstörungen oder Magen- und Darmbeschwerden, so Zacher. „Stellt der Arzt körperliche oder psychische Beeinträchtigungen der Gesundheit fest, die durch die Schichtarbeit verursacht sind, sollten sie auf einen Tagesarbeitsplatz wechseln.“ Rechtlich stehe Mitarbeitern eine Versetzung zu, wenn ihre Gesundheit gefährdet ist und dem Wechsel nicht dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen.

Nach knapp vier Jahren im Schichtsystem hat Stefan Scherf seinen Rhythmus gefunden. Er ernährt sich bewusster, sucht den Ausgleich im Sport. Den braucht er auch, denn an Sonntagen wie heute steht er zwölf Stunden in der Tierfutter-Fabrik. Nach so einem Arbeitstag gönnt er sich meist ein heißes Bad und geht dann schlafen.


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