Lotsen für die Schiene

(dpa/tmn) Kim Wondratschke kommt aus einer Eisenbahnerfamilie. Der Vater war Fahrdienstleiter, der Opa auch. Über diesen Beruf denken Bahnreisende so gut wie nie nach – außer wenn es zu einem schweren Unglück kommt wie dem im Februar 2016 bei Bad Aibling in Bayern, wo zwei Züge zusammenstießen. Unmittelbar vor der Katastrophe soll der zuständige Fahrdienstleiter auf dem Handy gespielt statt sich auf den Zugverkehr konzentriert haben – der Mann ist inzwischen unter anderem wegen fahrlässiger Tötung angeklagt worden. Nun wird auch die 21-jährige Wondratschke Fahrdienstleiterin. Ihr ist klar: „Man genießt das Vertrauen der Menschen, aber man trägt auch eine große Verantwortung, dass alles reibungslos läuft.“

83148772.jpgAzubi Kim Wondratschke sorgt in Zukunft dafür, dass der Bahnverkehr richtig funktioniert. Sie lernt den Beruf des Fahrdienstleiters bei der DB Netz AG. Bild: dpa

Alles per Mausklick

Als „Eisenbahnerin im Betriebsdienst, Fachrichtung Fahrweg“, wie die Ausbildung korrekt heißt, ist Wondratschke bei der DB Netz AG, einer Tochter der Deutschen Bahn, angestellt. Eine Weile hat sie mit dem Gedanken gespielt, nach dem Abitur zu studieren. Dann hat sie sich doch für die duale Ausbildung entschieden. „Ich habe schon gewusst, was die Inhalte sind – aber das richtige Verständnis bekommt man erst, wenn man in den Stellwerken arbeitet“, sagt sie. Kim Wondratschke ist derzeit in einem mechanischen Stellwerk in Leipzig tätig, ihre Ausbildung dauert zweieinhalb Jahre. Vom Stellwerk aus stellen die Fachkräfte zum Beispiel die Weichen oder prüfen die aktuelle Belegung der Gleise.

Neben den konventionellen gibt es computergesteuerte Werke. „Dort macht der Fahrdienstleiter alles per Mausklick und ist für ein deutlich größeres Gebiet verantwortlich“, erklärt Simone Heinrichs. Sie ist in Leipzig die Ausbildungsgesamtkoordinatorin bei der DB Netz AG Regional Südost.

Egal, für welche Technologie sich die Auszubildenden entscheiden: Jeder Fahrdienstleiter muss hochkonzentriert arbeiten, den Überblick behalten und in stressigen Situationen souverän entscheiden können. Gerade das macht Wondratschke an dem Beruf Spaß. Außerdem mag sie, dass jeder Tag anders ist: „Man muss sich immer auf neue Situationen einstellen, mit den Lokführern, Zugführern und benachbarten Stellwerken kommunizieren.“ Eine Maxime gilt aber immer, für alle Auszubildenden und alle gestandenen Fachleute im Stellwerk: „Sicherheit geht vor Pünktlichkeit.“

83148787.pngHochkonzentriert, damit kein Fehler passiert: Die angehende Fahrdienstleiterin Kim Wondratschke meldet dem benachbarten Stellwerk einen Zug. Bild: dpa

Rund 450 Unternehmen

Bevor die Auszubildenden bei der Bahn oder einem anderen Unternehmen im Eisenbahnverkehr starten, müssen sie ein mehrstufiges Auswahlverfahren bestehen. Dazu gehören bei der Deutschen Bahn ein Online-Test, ein Gespräch im Unternehmen und eine Tauglichkeitsprüfung ,beim Betriebsarzt. Erst wenn der seine Zustimmung gibt, können Bewerber den Vertrag unterschreiben. Die Vergütung liegt nach Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung im ersten Ausbildungsjahr bei 780 Euro brutto monatlich, im zweiten bei 843 und im dritten bei 907 Euro.

Die Deutsche Bahn ist nicht der einzige Betrieb, der die Eisenbahner für die Stellwerke ausbildet – allerdings ist er der größte. Dort gibt es 13000 Fahrdienstleiter in 3000 Stellwerken, sie betreuen nach Unternehmensangaben 34000 Kilometer Streckennetz. Aber auch regionale Bahnunternehmen bilden junge Leute aus, sagt Anja Schwarz, Ausbildungsexpertin beim Deutschen Industrieund Handelskammertag (DIHK) in Berlin. Es gibt rund 450 Unternehmen in Deutschland, die Züge zum Beispiel im Güterverkehr oder auf Betriebsgeländen in der Stahlindustrie oder im Braunkohletagebau betreiben.

„Jedes dieser Unternehmen kann, sofern die formalen Anforderungen aus dem Berufsbildungsgesetz erfüllt werden, eigene Ausbildungsplätze zum Eisenbahner im Betriebsdienst anbieten“, sagt Marcus Gersinske vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen in Köln. Die Unternehmen erwarten in der Regel mindestens einen Hauptschulabschluss, ein gutes Allgemeinwissen sowie ein Verständnis für Mathematik und Physik. Das brauche es zum Beispiel, um Bremswege auszurechnen, wie Wondratschke sagt. Auch Technikinteresse und logisches Denkvermögen sind wichtig. Ausbilderin Heinrichs verlangt außerdem Mobilität und die Fähigkeit zum Multitasking. Klar ist aber: „Das ist ein sehr reglementierter Beruf, bei dem man sich an die Vorschriften halten muss.“

Die Ausbildung dauert je nach Stellwerkstyp 30 oder 36 Monate. Die Azubis lernen in Lehrstellwerken und Simulatoren. Daneben sind sie in echten Stellwerken tätig – immer in Begleitung eines Facharbeiters. „Sie werden dann idealerweise in den letzten Wochen der Ausbildung in dem Stellwerk eingesetzt, wo sie später arbeiten“, sagt Heinrichs. Neben der IHK-Prüfung, die jeder Auszubildende ablegen muss, gibt es für jedes Stellwerk eine örtliche Prüfung, die Lehrlinge vor der ersten eigenverantwortlichen Schicht bestehen müssen.

83148792.jpgFahrdienstleiter in computergesteuerten Werken machen alles per Mausklick und sind damit auch für ein deutlich größeres Gebiet verantwortlich als die Kollegen im mechanischen Stellwerken. Bild: dpa

Händeringend gesucht

Nach bestandener Abschlussprüfung sind die Übernahmechancen sehr gut. „Die Leute werden händeringend gesucht“, sagt Gersinske. Und sie können sich in viele Richtungen entwickeln. „Mit einiger Zeit Berufserfahrung können sie sich zum Meister im Bahnverkehr oder einem Fachwirt im Bahnbetrieb weiterbilden“, sagt DIHK-Expertin Schwarz. Auch können die Facharbeiter nach Heinrichs Angaben zum Disponenten aufsteigen, als Bezirksleiter brauchen ,sie einen Fachwirt Bahnbetrieb. Außerdem gibt es verschiedene Studiengänge, die auf die Eisenbahner zugeschnitten sind.

Für Kim Wondratschke ist die Ausbildung erst der Einstieg in die Eisenbahnerkarriere. Sie will zunächst einige Jahre praktisch im Stellwerk arbeiten – und sich dann entscheiden, ob sie die ursprüngliche Idee vom Studium nicht doch wieder aufnimmt.


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