Gutes Benehmen kann nie schaden – doch ist es noch zeitgemäß, dass nur der Ältere das Du anbieten soll oder Männer Frauen die Tür aufhalten? Nein, in Sachen Höflichkeit hat sich einiges geändert. Das liegt auch am Umgang miteinander in den sozialen Medien.
Gute Manieren, Höflichkeit und etwas Aufmerksamkeit sind nach wie vor gefragt – etwa dem Gegenüber in den Mantel zu helfen. Bild: Christin Klose/dpa-tmn
Frielendorf/Essen. (dpa/tmn) Hält der höfliche Mann von heute Frauen die Tür auf? Stehen Frauen auf, um Männer zu begrüßen? Und wer darf wem überhaupt das „Du“ anbieten? Solche Fragen sind nach Ansicht von Knigge-Experten auch heute noch kein bisschen altmodisch. „Ich bin davon überzeugt, dass der Knigge nie out sein wird“, sagt Agnes Anna Jarosch, Leiterin des Deutschen Knigge-Rats in Frielendorf (Hessen). „Denn Umgangsformen werden immer ein Thema sein. Allerdings ändern sich natürlich die Gepflogenheiten.“
Neue Umgangsformen
Seit dem „Ur-Knigge“ von Adolph Freiherr Knigge aus dem Jahr 1788 hat sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern natürlich stark geändert. Immerhin ist die Gleichstellung im Beruf gesetzlich verankert, demnach darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. In einem schleichenden Prozess haben sich damit auch die Umgangsformen geändert.
Derzeit herrscht wegen der sozialen Medien die Duz-Kultur vor.
Linda Kaiser,Deutsche-Knigge-Gesellschaft
„Aufmerksamkeit ist nun keine Einbahnstraße mehr“, formuliert es Jarosch. Es ist gleichermaßen üblich, dass Frauen wie Männer aufstehen, um jemanden zu begrüßen. Und wer die Tür aufhält oder wer Vortritt lässt, hängt im Berufsleben von der Hierarchie ab. Der Rangniedere hält auf und lässt vor. Das Gleiche gilt auch für Gastgeber gegenüber ihren Gästen. Im Privaten kann das aber wieder ganz anders sein – hier haben sich viele Kniggeregeln gewandelt. Will heißen: Den Regeln folgend hält im Berufsleben also die Sekretärin dem Chef die Tür auf. Würden sich die beiden privat treffen, wäre es andersherum, denn hier gilt immer noch unter höflichen Menschen: Ladies first.
Bestehen nun aber etwa Frauen darauf, dieses Prinzip aufzuheben, kann es schon mal verwirrend-kompliziert werden: „Manchmal wird das zum Politikum gemacht, deshalb herrscht bei Männern schon Verunsicherung“, sagt Linda Kaiser, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft in Essen. Den Frauen sollte bewusst sein, dass etwa das Aufhalten einer Tür oder den Vortritt lassen keinesfalls abwertend gemeint sei. „Sie sollten es daher am besten wohlwollend und freundlich lächelnd zur Kenntnis nehmen“, rät sie. Das gilt auch, wenn der Mann ihr in den Mantel hilft – allerdings kommt so etwas bei älteren Damen in der Regel besser an. „Jüngere Frauen kennen das einfach nicht mehr so“, sagt Jarosch.
Ansonsten ist die Frage, was gutes Benehmen ist, auch orts- und situationsabhängig. Der Frau den Stuhl zurechtrücken, macht sich gut bei einer Gala. Beim Italiener um die Ecke kann das überzogen wirken. Und natürlich gelten die üblichen Tischmanieren beim Essen: nicht schlürfen, nicht schmatzen, keine Ellenbogen auf dem Tisch und das Weinglas am Stiel fassen.
Nicht geändert haben sich aus Sicht der Stilexperten auch bestimmte Spielregeln für das erste Date. Hier schätzen nach Meinung von Jarosch die meisten Frauen noch immer Gleichberechtigung gar nicht, zumindest bei der Rechnung. Viele erwarten, dass ihr Begleiter diese übernimmt. Und wenn sie es nicht erwarten, kann es immerhin gut ankommen. Beim zweiten Date kann das schon anders aussehen – hier kann sie bezahlen oder der Betrag wird geteilt.
Form der Anrede
Einen Pluspunkt für die Männer kann es geben, wenn sie nach dem Abschied vor der Haustür so lange warten, bis die Frau das Gebäude betreten hat. „Das hat natürlich auch etwas mit Fürsorge, Interesse und Sicherheit zu tun“, sagt Jarosch.
Ein weiteres Thema, bei dem heutzutage Unsicherheit herrscht, ist die Form der Anrede. Das betrifft vor allem jüngere Menschen, während die Älteren es noch gut im Gefühl haben, wo die Trennlinie verläuft. „Allerdings ist dies gerade sehr stark im Wandel. Derzeit herrscht wegen der sozialen Medien die Duz-Kultur vor“, so Kaiser. Das sorge nicht bei jedem für Begeisterung – gerade auch bei jüngeren Menschen nicht. Schließlich wird mit einem „Sie“ Respekt und auch Distanz ausgedrückt.
Ohnehin sind durch die neue Medien auch neue Fragen und Regeln in Sachen Höflichkeit aufgetaucht. „Die Digitalisierung krempelt unsere Gesellschaft gerade um“, urteilt Christian Schuldt vom Zukunftsinstitut. „Klassische Strukturen lösen sich auf, die Spielregeln werden immer komplexer.“ Parallel zur Digitalisierung entwickelt sich eine gewisse Rückwärtsgewandtheit und damit auch der Wunsch nach kulturellen Vorgaben.
Diskrete Telefonate
Eine der Fragen, die das digitalisierte Zeitalter mit sich gebracht hat: Wie kommuniziere ich wann mit wem? So gilt beim Thema Handy: Der Gesprächspartner vor Ort sollte Vorrang haben. „Wenn man ein besonders wichtiges Telefon erwartet, sollte man das vorher sagen und dann zum Telefonieren rausgehen“, empfiehlt Kaiser. So bleibt auch die Privatsphäre des Anrufenden gewahrt.
Und: Generell gilt das Telefonieren in der Öffentlichkeit als unhöflich. Wenn es nicht zu vermeiden ist, sollte es so diskret wie möglich geschehen, so dass nicht der ganze Bus oder das ganze Restaurant mithören muss. Diskretion gilt auch sonst beim Umgang mit dem Smartphone. Es gehört nicht auf den Tisch – weder auf den Ess- noch den Besprechungstisch.