Zwischen den Welten

(dpa/tmn) Eine Prise Naturwissenschaften, ein Schuss Technik, dazu etwas Management und reichlich BWL: Der Beruf des Wirtschaftsingenieurs klingt, als habe jemand im Labor den perfekten Arbeitnehmer für die digitale Zukunft backen wollen. Dem Arbeitsmarkt schmeckt das Ergebnis offensichtlich, denn die Jobchancen für Wirtschaftsingenieure sind hoch – die Anforderungen allerdings auch.

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BWL und MINT: Wirtschaftsingenieure haben ein Bein in jeder Welt – und sind deshalb vor allem Übersetzer zwischen Fachleuten. Bild: Florian Küttler/Westend61/dpa-tmn

„Da haben Sie vormittags Mechanik, nachmittags Rechnungslegung und abends organische Chemie“, sagt Jens Weibezahn von der Technischen Universität Berlin. „Da muss man schon flexibel im Kopf sein.“ Weibezahn ist Koordinator des Studienprogramms für Wirtschaftsingenieurwesen, so der offizielle Name des Fachs.

Digitales Zeitalter

Der Studiengang in Berlin ist der älteste seiner Art, aber längst nicht mehr der einzige: Das Portal Hochschulkompass.de zählt rund 500 Studienangebote für Wirtschaftsingenieurwesen. Tendenz steigend, denn der Studiengang wird stetig populärer. „Einen richtigen Boom gab es Ende der 90er, Anfang der Nullerjahre“, sagt Weibezahn.

Schuld daran sind die Digitalisierung und andere technische Entwicklungen. „Gerade heute ist der Beruf des Wirtschaftsingenieurs sehr relevant, weil er mit je einem Bein in zwei Welten steht“, sagt Thorsten Gerhard, Leiter der Industrial-Praxisgruppe der Personalberatung Egon Zehnder. Anders gesagt: Wer Technik erstens versteht und zweitens zu Geld machen kann, ist im digitalen Zeitalter heiß begehrt. Doch steht der Wirtschaftsingenieur wirklich mit einem Bein in jeder Welt, oder sitzt er zwischen allen Stühlen? Denn immer mal wieder gibt es Streit um das Fach und seinen Namen. Knackpunkt dabei: Steckt im Wirtschaftsingenieur wirklich genug Ingenieur, um diese Bezeichnung zu tragen – oder bleibt die Ausbildung zu sehr an der Oberfläche?

„Als Wirtschaftsingenieur ist man auf die Entwicklungen der Digitalisierung ideal vorbereitet“, sagt Gerhard. „Insofern würde ich das alte Argument, dass der Wirtschaftsingenieur „nichts richtig kann“, nicht gelten lassen.“ Was auch am harten Studium liegt, denn in der Regel pauken die Teilnehmer nicht nur Grundlagen, sondern gehen auch in die Tiefe. „Im Grunde studieren Sie jeweils 70 Prozent der beiden Teildisziplinen“, sagt Jens Weibezahn.

Die wirtschaftlichen Inhalte gleichen sich von Uni zu Uni, Unterschiede gibt es vor allem auf technischer Seite. Gerade zuletzt sind viele neue Studiengänge für Wirtschaftsingenieure entstanden, mit teils sehr speziellen Ausrichtungen. „Maschinenbau oder Elektrotechnik sind die Klassiker“, sagt Professor Wolf-Christian Hildebrand, Präsident des Verbands Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI). „Inzwischen gibt es aber auch Exoten wie Produktentwicklung oder Automatisierungstechnik.“

Interessenten sollten sich also genau anschauen, was in einem Studiengang wirklich drinsteckt, rät Hildebrand. Angst vor Mathe ist in dem Studium aber auf jeden Fall fehl am Platze. Ansonsten brauchen angehende Wirtschaftsingenieure vor allem Durchhaltevermögen, sagt Weibezahn. „Weil es schon einfach viel Stoff ist.“

Daten und Strategien

Der Lohn der Mühen ist meistens ein gut bezahlter Job. 50000 Euro verdienen Berufseinsteiger laut VWI im Schnitt. „Das ist ein sehr ordentliches Gehalt, auch im Vergleich zu anderen Ingenieuren“, sagt Präsident Hildebrand. Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es für Wirtschaftsingenieure fast überall, von der Chemie bis zum Maschinenbau und von der Produktion bis in den Vertrieb. „Sehr viele unserer Absolventen gehen auch in die Unternehmensberatung oder machen sich selbstständig“, sagt Weibezahn.

Als Spezialisten werden Wirtschaftsingenieure aber nicht eingesetzt, so Hildebrand, eher als Generalisten. Denn es geht eben nicht nur darum, BWL und Technik zu können – sondern darum, beides gleichzeitig zu können und zum Beispiel bei der Produktentwicklung mit an den Vertrieb zu denken. Oder bei der Strategieplanung stets die technische Umsetzbarkeit im Blick zu behalten.

Im Ergebnis sind Wirtschaftsingenieure vor allem Übersetzer zwischen reinen Ingenieuren und klassischen BWLern. „Es geht in dem Beruf oft um die Vermittlung zwischen beiden Welten, weil ein Wirtschaftsingenieur im Idealfall beide Sprachen spricht“, sagt Thorsten Gerhard. Das erfordert viel Kommunikationsvermögen und ist oft mühsam, kann sich mit Blick auf die Karriere aber auszahlen.

„Gerade wenn es um das Potenzial für höhere Aufgaben geht, schauen wir unter anderem auf eine gewisse Neugier für unbekannte Dinge, eine Wissbegierde, und auf etwas, das wir Insight nennen“, sagt Gerhard. Das sei die Fähigkeit, Daten in konkrete Strategien zu übertragen. „Das sind gerade für Führungspositionen sehr wichtige Fähigkeiten, die Wirtschaftsingenieure im Prinzip aus ihrem Studium mitbringen.“


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